Ich geh ALDI !

Anlass, diesen Artikel hier zu schreiben, sind Beiträge in Zeitungen und Magazinen von namhaften und weniger namhaften Linguisten, die mit Hiobsbotschaften wie „die deutsche Sprache bricht zusammen“ daher kommen und ganze Heerscharen von Deutschlehrern und Bildungsbürgern wuschig machen.
Ansporn ist regelmäßig die Jugendsprache bzw. Soziolekte, die Abweichung zur „heiligen“ Standardsprache aufzeigen: „Ich geh ALDI“ und Ähnliches wird da gerne als Beispiel angeführt und wie ein Tanzbär mit roten Augen und Kette in der Nase durch die Manege geführt, als Zeichen der Apokalypse, der Abgesang der Deutschen Sprache.
Das erinnert mich an eine Doku, die letztens in einem der unbeliebten Privat-Kanäle lief. Da gab es einen Club, der „Paleo-Diät“ frönte, also sich vermeintlich so ernährte bzw. kochte, wie unsere Vorfahren vor mehr 10.000 Jahren, als es in Europa noch keinen Ackerbau gab.
Das Doku-Team brachte da eine dieser Mahlzeiten mal zu einem Anthropologen und ließ diese untersuchen. Tenor von diesem: Vieles gab es in dieser Zeit noch gar nicht in Europa oder nicht in Form, Art und Ausprägung von heute, sondern wurde erst entsprechend gezüchtet oder ist über Generationen mutiert.
Um einen Schwenk zu den Sprachen zu machen, aber trotzdem mit der Metapher der Pflanzen zu spielen: Es ist kein Geheimnis, dass auch Sprachen vor 2.000, 1.000, 500 oder selbst noch vor 50 Jahren anders waren als heute. Sonst sprächen im Mittelmeer alle noch Latein, statt Französisch oder Italienisch. Und wir würden „Die Wägen stehen vor der Tür“ sagen.
Sprachen waren und sind verschiedenen Einflüssen unterworfen, verändern sich kurzzeitig oder oft langfristig.
Desweiteren offenbart ja auch unser Blick in Schrebergärten und auf die Natur, dass da nicht nur Gurken oder Tomaten stehen, sondern auch eine Vielzahl von anderem Gemüse und Obst. Und selbst unter einer Gemüseart wie die Gurke gibt es verschiedene Unterarten (es gibt sogar den Unterschied, dass manche 7, andere 12 Chromosomen besitzen 🙂 ).
Der eifrige Schrebergärtner und Leute, die sich der Kategorisierung und Standardisierung verschrieben haben, bemühen sich seit je her, diesem ganzen natürlichen „Wildwuchs“ mit Bezeichnungen und Schubladen Herr zu werden und das Gärtnertum erkiest dann Lieblingssorten für Verzehr und/oder Handel.
So auch in der Sprache. Einst, um als Sprecher bzw. Schreiber überhaupt von Hörer/Leser verstanden zu werden, mittlerweile auch allein um des Standards willen, wie ein Pudel, dessen Beinlänge und Proportionen unbedingt exakt gemäß der aktuellen Norm-Fibel sind. Einfach so. Weil’s schön ist. Für Leute in Pudel-Vereinen. 🙂
Leider ist das gemeine Volk und die Natur ja so unsensibel und verderben den Normierern oft die ganze Freude, indem jene Standards entweder einen feuchten Kehricht kümmert oder die Natur impertinenter Weise im Laufe der Zeit mit immer neuen Kreationen aufwartet. Aus heiterem Himmel. Ohne die bemühten Sprachpfleger zu fragen!
Flugs ist da der Normierer am Start und versucht dem Treiben mit Heckenschere und Chemikalien Einhalt zu gebieten, nennt Unerwünschtes zumindest lieblos „Unkraut“. Im Bereich der Sprachen abfällig „Umgangssprache“ oder mit manchmal unterschwelligem Ekel „Dialekt!“.
Furchtbar.
Außerhalb des eigenen Gartens ist das Einhegen doch eher beschränkten Erfolges, so mancher wissenshungrige Botaniker ist da aber eher erfreut, dass dem so ist.
Interessanterweise akzeptieren aber eben jene Fans von Normen gerne Mal von Menschenhand gezüchtete Gemüse- oder Rosenarten, weil diese dann aber auch mit wünschenswerten neuen Eigenschaften aufwarten.

Sprachen waren nie „Gurke Excelsior“ (gibt es wirklich), frisch gezüchtet im Gewächshaus oder designt am Reißbrett, sondern immer Wildwuchs. Eingehegt wurden sie dann entweder von selbst ernannten oder staatlich bestellten Normierern, anfangs wie gesagt, um der Verständlichkeit meist innerhalb eines Landes Rechnung zu tragen, also nachvollziehbar. Ein Pionier war ja einst Martin Luther mit der Übersetzung der Bibel in eine noch nicht standardisierte deutsche Sprache, die möglichst viele verstehen sollten. Damals ein unerhörter Affront gegen die Obrigkeit, dass der einfache Mann plötzlich des Lesens mächtig sein soll …
Und damit war der Standardisierung eigentlich auch schon Genüge getan: Eine Form zu schaffen, die es ermöglicht, Informationen zu artikulieren, um von möglichst vielen verstanden zu werden.

Aber das heißt nicht, dass „Excelsior“ jetzt eine höhere Daseinsberechtigung hat als andere Formen, die einfach nur anderen Funktion oder Zielgruppen nachgehen, nämlich regional gewachsene Eigenheiten und Traditionen, als Nebenstraße zur Norm, zu transportieren (Regio- und Dialekte), die in Berufs- und Interessenkreise sowie Subkulturen ihre Vokabeln, Redewendungen und Abkürzungen definiert haben oder sogar von Einzelnen als individueller Gebrauch gepflegt werden (Ideolekte). Die Natur hat einen großen Garten!

Zum Trost für die Deutschlehrer:
„Ich geh Aldi“ wird wahrscheinlich immer Soziolekt bleiben. Wenn er nicht irgendwann zur ironischen Redewendung wird.
Aber auch das verkraftet jede Sprache locker. 🙂

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